Leseproben Gedichtübertragungen

Aus: Trumble, Angus, Eine kleine Geschichte des Lächelns. Spektrum Akademischer Verlag (2006)
Orig.: A Brief History of the Smile. Allen & Unwin (2004)

What heavenly smiles! O Lady mine,

Through my very heart they shine;

And if my brow gives back their light,

Do thou look gladly on the sight;

As the clear Moon with modest pride

Beholds her own bright beams

Reflected from the mountain’s side

And from the headlong streams.

(William Wordsworth, aus Poems)

Dein Himmelslächeln, Liebste mein,

strahlt mir gerad ins Herz hinein;

erfreue dich an seinem Licht,

das scheint aus meinem Angesicht,

so wie der Mond mit stillem Stolz

sein eignes Leuchten hell

gespiegelt sieht am Bergeshang

und in dem muntren Quell.

It is very rude to take close-ups and, except

when enraged, we don’t:

lovers, approaching to kiss,

instinctively shut their eyes before their faces

can be reduced to

anatomical data.

(W. H. Auden, aus I Am Not a Camera)

Nahaufnahmen sind unverzeihlich, und man macht

keine, nur im Zorn.

Liebende, vor einem Kuss,

senken spontan den Blick, eh ihre Züge

schrumpfen zu bloßen

anatomischen Daten.

Then they joined and all abused it –

Unrestrainedly abused it –

As „the worst and ugliest picture

That could possibly be taken

Giving one such strange expressions!

Sulkiness, conceit and meanness!

Really anyone would take us

(Anyone who did not know us)

For the most unpleasant people!“

(Hiawatha seemed to think so –

Seemed to think it not unlikely).

(Lewis Carroll, aus Hiawatha’s Photographing)

Und sie kamen, es zu schmähen –

Um es hemmungslos zu schmähen –

Als „das ärgste, schiechste Bildnis,

Das sich fabrizieren ließe,

Mit solch sonderbaren Mienen!

Missmut, Niedertracht und Dünkel!

Ja, ein jeder würde glauben

(Jeder, der uns noch nicht kannte),

Dass wir wahrhaft garstig seien!“

(Hiawatha widersprach nicht –

Schien es denkbar wohl zu finden).

Aus: Sutherland, John, 50 Schlüsselideen Literatur(wissenschaft). Spektrum Akademischer Verlag (2012)
Orig.: 50 Literature Ideas You Really Need to Know. Quercus (2011)

In the Cemetery

„You see those mothers squabbling there?“

Remarks the man of the cemetery.

„One says in tears, ’Tis mine lies here!’

Another, ’Nay, mine, you Pharisee!’

Another, ’How dare you move my flowers

And put your own on this grave of ours!’

But all their children were laid therein

At different times, like sprats in a tin.

And then the main drain had to cross,

And we moved the lot some nights ago,

And packed them away in the general foss

With hundreds more. But their folks don’t know,

And as well cry over a new-laid drain

As anything else, to ease your pain!“

(Thomas Hardy, aus Satires of Circumstance)

Auf dem Friedhof

„Siehst du die Mütter dort im Zwist?“,

Bemerkt der Totengräber still.

„Die eine weint: ‚Mein Kind hier ist!’

‚Nein, meins, du Lump!’, die zweite schrill.

Die dritte: ‚Wer hat meine Blumen gestohlen,

Um and’re für unser Grab zu holen?’

Doch einst lagen all ihre Kinder dort drin,

Wie Sprotten in einer Büchse aus Zinn.

Und dann wurde der Abfluss dorther gelegt,

Und zur Nacht, da holten wir alle heraus

Und haben ins Massengrab sie bewegt

Mit Hunderten mehr. Doch die Eltern zu Haus,

Die wussten es nicht und beweinen voll Schmerz

Nun das neue Rohr, zu entbürden ihr Herz!“

But at my back I always hear

Time’s wingèd chariot hurrying near;

And yonder all before us lie

Deserts of vast eternity.

Thy beauty shall no more be found,

Nor, in thy marble vault, shall sound

My echoing song; then worms shall try

That long preserv`d virginity,

And your quaint honour turn to dust,

And into ashes all my lust.

The grave’s a fine and private place,

But none I think do there embrace.

(Andrew Marvell, aus To his coy mistress)

Doch hinter mir hör ich alsdann:

Der Zeitenwagen fliegt heran,

Und vor uns liegt so still und weit

Die Wüstenei der Ewigkeit.

Von Eurer Schönheit niemand singt,

In Eurer Marmorgruft erklingt

Mein Lied nicht mehr; Gewürm dann zehrt

Von Unschuld lange unversehrt,

Das Ehrenbanner wird zu Staub,

Die Lust verdorrt wie trocknes Laub.

Das Grab ist ein verschwiegner Ort,

Doch niemand wohl umarmt sich dort.

Bei den beiden folgenden Gedichten war eine Übersetzung im eigentlichen Sinne nicht möglich; ich musste für das jeweils zugrunde liegende sprachliche Prinzip spezielle deutsche Beispiele finden.

Aus: Pinker, Steven, Der Sprachinstinkt. Wie der Geist die Sprache bildet. Kindler (1996)
Orig.: The Language Instinct. How the Mind Creates Language. William Morrow (1994)

Sally Salter, she was a young teacher who taught,

And her friend, Charley Church, was a preacher who praught;

Though his enemies called him a screecher, who scraught.

His heart, when he saw her, kept sinking, and sunk;

And his eye, meeting hers, began winking, and wunk;

While she in her turn, fell to thinking, and thunk.

In secret he wanted to speak, and he spoke,

To seek with his lips what his heart long had soke,

So he managed to let the truth leak, and it loke.

The kiss he was dying to steal, then he stole;

At the feet where he wanted to kneel, then he knole;

And he said, „I feel better than ever I fole.“

Wo die Bäume schwarz schweigen, wie der Wald stets schwarz schwieg,

stand ein Jüngling, zu geigen, und voll Inbrunst er gieg,

einem Maide zu zeigen, was ein Liebender zieg.

Vor ihr niederzusinken, war sein Wunsch, und er sank,

sah sie lächeln und winken, wie kein Weib ihm je wank,

und die Sterne hell blinken, wo der Mond silbern blank.

Und voll Sehnsucht, zu geben, was noch keiner er gab,

fing sein Herz an zu beben, wie es nie zuvor bab,

und er träumte zu schweben, bis im Himmel er schwab.

Schließlich kam er zu liegen, wo im Moose sie lag,

sie im Arme zu wiegen, wie einst Zeus Hera wag.

Denn die Liebe wird siegen, wie sie immer schon sag.

Aus: Pinker, Steven, Wörter und Regeln. Spektrum Akademischer Verlag (2000)
Orig.: Words and Rules. The Ingredients of Language. Basic Books (1999)

Hier handelt es sich um ein Rätsel, in dem jeweils ein Paar scheinbar verknüpfter Wörter herauszufinden ist. An den Stellen, wo die Wörter hingehören, stehen Platzhalter. Der Inhalt des Gedichts liefert Hinweise auf das zu erratende Wortpaar. Im englischen Rätsel ist in die mit ONE markierte Stelle ein Wort im Singular mit sieben Buchstaben einzufügen und in die mit MANY markierte Stelle sein falscher Plural, der sechs Buchstaben hat. Im deutschen Rätsel steht EINEN für den Singular mit sechs Buchstaben, VIELE für seinen falschen Plural mit fünf Buchstaben. Die Lösungen der Rätsel finden Sie – falls nötig – im Impressum.

False Plural (7, 6)

Turn over on your side, my dear,

And tuck your foot behind your ear;

And I, meanwhile, will crouch like this

And give your neck a tender kiss.

Let’s see now – let your arms go slack

And clasp your hands behind my back;

I’ll reach around and drape my knee

Across your shoulder – goodness me!

I must confess, this is a stretch,

But honeybunch, you mustn’t kvetch.

I know it hurts, I know it smarts –

But these arcane erotic arts

Don’t yield their secrets right at first;

And now, I think, we’re past the worst.

So please don’t throw a ONE, sweet miss –

The MANY says we’ll soon reach bliss.

Falscher Plural (6, 5)

In einem fernen, warmen Wald,

da stehen keine Buchen.

Auch Eichen, mächtig von Gestalt,

wird man vergebens suchen.

Nein, aus dem Erdreich ragen schlank

gar lange, glatte Stangen,

und ihre Zweige hält voll Dank

ein wildes Tier umfangen.

Sein Fell ist schwarz und auch noch weiß,

und jeder mag es leiden.

Es will kein Huhn und keinen Reis –

da ist es sehr bescheiden.

Den EINEN mag es gar zu sehr,

frisst ihn in großen Haufen.

Da kommt ein zweites Tier daher –

es hat sich wohl verlaufen.

Wir rufen VIELE, und sobald

wird es gesprungen kommen,

denn einmal hat ein falscher Wald

die Feder hergenommen

und uns sein Leben inniglich

bebildert und beschrieben,

und alle Kinder wussten: Ich

werd‘ es von Herzen lieben.